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Das Wüstungsarchiv der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie
Das Wüstungsarchiv der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie (ÖGMN) enthält Informationen zu rund 3000 Ortswüstungen vor allem in Niederösterreich, aber auch im Burgenland, in Oberösterreich und in der Steiermark. Das Archiv wurde in den Jahren 2023 und 2024 im Rahmen eines aus EU-Mitteln durch das Programm „Kulturerbe digital“ des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport geförderten Projekts digitalisiert und steht nun frei abrufbar zur Verfügung.
Anfänge der Wüstungsforschung in Österreich und das Wüstungsarchiv der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie
Die Wurzeln der Wüstungsforschung in Österreich liegen im heimat- bzw. landeskundlichen Interesse an Ortswüstungen ab den 1830er Jahren. Die frühe Ortswüstungsforschung beruhte vor allem auf Schriftquellen und mündlichen Überlieferungen der lokalen Bevölkerung.
Die Entstehung des Wüstungsarchivs der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie ist mit der Entwicklung der Mittelalterarchäologie und ihrer Institutionalisierung auf universitärer Ebene im deutschsprachigen Raum verbunden.
Fritz Felgenhauer (1920–2009), Prähistoriker an der Universität Wien, wandte sich bereits in den 1950er Jahren der Mittelalterarchäologie zu und gründete 1970/71 das Archiv für Mittelalterarchäologie (AMA) mit dem Wüstungsarchiv. Im Zusammenhang mit der Ortswüstungsforschung verfolgte Felgenhauer mit dem Konzept der archäologisch-historischen Raumerfassung schon früh ein wegweisendes Konzept der Siedlungsarchäologie, das Übereinstimmungen mit heutigen Konzepten der Landschaftsarchäologie zeigt. Gezielt baute seine Forschungsgruppe Archivbestände auf, initiierte den Gedankenaustausch zwischen Fachkolleg:innen und wusste die Kenntnisse und das Engagement interessierter archäologischer Laien zur Lokalisierung von Ortswüstungen einzubinden.
Was ist Landschaftsarchäologie?
Von 1986 bis in die 2000er Jahre übernahm Kurt Bors die Betreuung des Wüstungsarchivs. Aufgrund seiner Kenntnisse als Geograph legte er besonderes Augenmerk auf die Lagefaktoren der Ortswüstungen, wie beispielsweise die Lage zu Wasser, morphologische Gegebenheiten, Vegetation, aber auch Wegenetze und Siedlungsnetzlücken und entwickelte seine Methodik der geografisch-archäologischen Geländeforschung nach mittelalterlichen Ortswüstungen.
Durch die Verbundenheit Fritz Felgenhauers mit der von ihm gegründeten ÖGMN gingen die Bestände des AMA und des Wüstungsarchivs in die Betreuung und in das Eigentum des Vereins über.
Vom Wüstungsarchiv zu DeVill – Deserted Villages Archive
Im Juni 2022 fanden erste Beratungen statt, das Wüstungsarchiv zu digitalisieren und für Forschende und Interessierte frei zugänglich zu machen. Die Open-Source-Datenbanksoftware OpenAtlas wurde als geeignetes Werkzeug identifiziert. Die finanziellen Mittel für das Projekt DeVill – Deserted Villages Archive – konnten über das Förderprogramm „Kulturerbe digital“ eingeworben werden.
Das Wüstungsarchiv enthält unterschiedliche Datenkategorien wie Beschreibungen der einzelnen Ortswüstungen inkl. Literaturzitate, Fotokopien heimatkundlicher Literatur, kartografische Darstellungen, fotografische Aufnahmen, Schriftverkehr und archäologische Oberflächenfunde. Diese Datenkategorien erforderten unterschiedliche Digitalisierungsvorgänge und eine gezielte Datenstrukturierung, um den maximalen Informationsgehalt der Sammlungsobjekte zu bewahren.
Die Digitalisierung der Archivbestände erfolgte unter Berücksichtigung der FAIR-Prinzipien. Flachware (Schrift- und Bilddokumente) wurde gescannt, wobei Textdokumente einem OCR-Vorgang unterzogen und so durchsuchbare PDF-Dateien erzeugt wurden. Archäologische Oberflächenfunde wurden mit Hilfe des Laser Aided Profiler dokumentiert.
Was ist ein GIS?
Die Datenstruktur von DeVill basiert zu großen Teilen auf dem Datenmodell von THANADOS, das grundlegend weiterentwickelt wurde. Übernommen wurden GIS-Elemente sowie die Datenstrukturierung in Ort, Quelle, Ereignis, Akteur, Artefakt, Referenz und Typ. Um die große Anzahl und Vielfalt an Daten integrieren zu können, nutzen OpenAtlas bzw. DeVill CIDOC CRM, wobei das DeVill-Datenmodell auf vier hierarchischen Ebenen beruht, nämlich Ort, Feature, stratigraphische Einheit und Artefakt. DeVill-spezifische Klassifizierungen wurden besonders hinsichtlich der für die Wüstungsforschung relevanten Kategorien (Siedlungstypen etc.), aber auch das mittelalterliche Fundgut betreffend (Objekttypen, Scherbenqualitäten etc.) erweitert.
Was ist eine stratigraphische Einheit?
Für die Metadatenerfassung wurden nach Möglichkeit und in Hinblick auf Linked Open Data und auf die bereits erwähnten FAIR-Prinzipien bereits vorhandene kontrollierte Vokabularien verknüpft, wie beispielsweise der Getty Art and Architecture Thesaurus, Wikidata, für chronologische Informationen Periodo und für Ortsangaben Geonames. Wo dies nicht möglich war, wurde auf Printliteratur verwiesen.
Räumliche Fundstellen-Daten wurden georeferenziert erfasst und mit historischen Kartenwerken abgeglichen, womit bereits vorhandene digitale Ressourcen genutzt und gegebenenfalls verlinkt wurden. Der Großteil der geografischen Daten speist sich aus mehreren hundert Lagegrafiken, die auf Katasterplänen beruhen. Für Ortswüstungen, für die solche Skizzen vorhanden sind, wurden digitale dreidimensionale Geländemodelle der unmittelbaren Umgebung erstellt, womit Betrachter:innen ein Eindruck von der landschaftlichen und topographischen Situation der ehemaligen Dörfer vermittelt wird.
Künftig werden die Daten um weitere Informationen sowie neu entdeckte bzw. lokalisierte Wüstungen aktualisiert.