Melange aus Geschichten
Globale Perspektiven auf das Wiener Kaffeehaus
Vor dem Fenster nieselt es. Schon wieder. Tröstend wartet eine heiße Tasse Melange wie ein Versprechen des baldigen Frühlings auf mich. Ich atme den Duft der gerösteten Bohnen ein und lege den Feuilleton im Zeitungshalter auf die Seite, rücke das Silbertablett näher heran und lausche dabei den angeregten Gesprächen im Raum, während ich von Minute zu Minute tiefer mit dem samtigen, roten Sessel verschmelze - Momente wie diese prägen seit Generationen das Wiener Kaffeehaus. Als zeitlose Zeugnisse der kulturellen und intellektuellen Innovationskraft der Stadt wurde sie 2011 von der UNESCO zum offiziellen immateriellen Kulturerbe ernannt. Was auch immer die Wiener Kultur damals und heute ausmacht, das Kaffeehaus ist zweifellos ein Ort, an dem sie auflebt.
Nehmen Sie Platz!
Die Kaffee(haus)kultur ist tief in der österreichischen Identität verankert. Geprägt durch Migration, Kolonialisierung und Industrialisierung entfaltet sich die Geschichte des Kaffees und damit auch die Geschichte des Wiener Kaffeehauses weit über die Stadtmauern hinaus.
Für eine Gruppenarbeit stellen Studierende der Central European University die gängigen Vorstellungen der Wiener Kaffee- und Kaffeehauskultur infrage und rücken sie in ein neues Licht. Für die internationalen Studierenden ist die Wiener Institution nicht nur ein touristisches Highlight, sondern Spiegelbild und Schauplatz sowohl lokaler als auch internationaler Geschichten, Legenden und Erinnerungen.
Für Kulturpool geben die Autor:innen einen kleinen Einblick in die Vielfalt der digitalen Sammlungen in Österreich und die Breite der österreichischen Kulturerbeinstitutionen - mit "Kaffee"-Objekten aus Partnerinstitutionen wie dem Wien Museum und dem Technischen Museum.
Hinter dem Samtvorhang
Die bekannteste Entstehungsgeschichte des Kaffees in Österreich wird Georg Franz Kolschitzky zugeschrieben, einem polnischen Diplomaten und Spion der Habsburger. Der Legende nach fand Kolschitzky die mysteriöse Kaffeesubstanz während der zweiten Belagerung Wiens durch das Osmanische Reich im Jahr 1683, als er Nachrichten an die Entsatzarmee außerhalb der osmanischen Linie überbrachte und sich die osmanischen Truppen zurückzogen. Für seine Dienste erhielt er als Belohnung von den Habsburgern das Recht, die entdeckten Kaffeebohnen zu verwenden und Wiens erste Kaffeehäuser zu eröffnen. Damit sollte er den Grundstein für die traditionsreichen Kaffeehäuser legen.
Eine andere Legende besagt hingegen, dass es stattdessen ein armenischer Spion namens Johannes Theodato war, der das Kaffeehaus in Wien als Treffpunkt für geheime Rendezvous populär machte. Aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse über die Bohnen und Zubereitungsmethoden gewährte ihm der Hof das exklusive Recht, Kaffee zu handeln und zuzubereiten.
In diesen Legenden beansprucht Wien selbst, die Kultur des Kaffees gefördert und entwickelt zu haben. Tatsächlich jedoch existierte die Kaffeekultur schon lange davor. Um die Bedeutung des Kaffees in Wien wirklich zu erfassen, sollte man die Wiener Kaffeekultur nicht nur als malerisches Symbol gehobener westlicher Kultur betrachten, sondern als komplexes kulturelles Phänomen mit tief verwurzelten und historischen Dimensionen.
Über Grenzen und Generationen hinweg
Wie in Wien legte auch im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts der Kaffee den Grundstein für eine einzigartige soziale Kultur, wobei sich das Kahvehane (Kaffeehaus) zu einem wichtigen Ort der Begegnung entwickelte. Hier versammelten sich Menschen unterschiedlichster Herkunft, um über Politik, Kultur und alltägliche Ereignisse zu diskutieren. Auf diese Weise wurde Kaffee zu einem Motor für Kommunikation und gesellschaftliche Vernetzung. Traditionelle Musik mit Ney-Flöten und Kanun-Zithern verwandelte die Kaffeehäuser nicht nur zu Orten für intellektuelle Diskussionen, sondern bot auch Unterhaltung bei Festen und gemeinschaftlichen Aktivitäten.
Die gesellschaftliche Bedeutung der Kaffeehäuser im Osmanischen Reich war so groß, dass sie in zeitgenössischen Schriften, sowohl von Osmanen als auch von ausländischen Reisenden, häufig erwähnt wurden. In solchen Reiseberichten wurden Kaffeehäuser als zentrale Orte beschrieben, an denen Ideen ausgetauscht und politische sowie kulturelle Themen diskutiert wurden. Diese Kaffeehäuser und die Tradition des Trinkens türkischen Kaffees waren so fest in der osmanischen Gesellschaft verankert, dass als Sultan Murad IV. in den 1590er Jahren ihre Schließung befahl, der Großwesir Koca Sinan Pasha entgegnete:
Heute bieten die Kaffeehäuser in Wien für viele Besucher:innen und Menschen mit Migrationshintergrund ein Gefühl von Zugehörigkeit – ein Ort, an dem sie sich auch fernab der Heimat wie zuhause fühlen können.
Verfasst von
Eva Kiser, Cemre Altin, Gandhar Pandit und Lili Kátai (Central European University)
(Fortsetzung folgt)