Gesammelt, digitalisiert, genutzt?

Wie aus Daten Innovation entsteht darüber diskutierten Expertinnen und Experten beim Stakeholder Forum 2025 im Ars Electronica Center Linz. 

Innovation braucht Infrastruktur. Kulturerbe. Digital. Weitergedacht

Unter dem Motto „Innovation braucht Infrastruktur. Kulturerbe. Digital. Weitergedacht.“, lud das Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS) gemeinsam mit dem Kulturpool, der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und dem Ars Electronica Center zu einem facettenreichen Programm mit viel Raum zum Diskutieren und Austauschen.  

Das Forum startete mit einem informativen und interaktiven Event der FFG im Rahmen der Horizon Europe Community Österreich. Kurzvorträge gaben einen umfassenden Überblick über die Initiativen Cultural Heritage Cloud - or European Collaborative Cloud for Cultural Heritage (ECCCH), die European Open Science Cloud (EOSC) sowie den Common European data space for cultural heritage (CD4CH). Im Anschluss diskutierte Angela Wieser (FFG) mit Christoph Steindl (Österreichische Nationalbibliothek), Barbara Sánchez Solís (TU Wien) und George Ioannidis (Time Machine Organisation) die Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten der Programme. Als Abschluss des dreistündigen Workshops wurden die Teilnehmenden eingeladen, etwaige Prioritäten, Befürchtungen und Hoffnungen bezüglich der gemeinsamen und offenen Nutzung von digitalisierten Kulturdaten im World-Café-Format zu diskutieren. Die Informationen zum Workshop und den relevanten (Förder)-Programmen (Horizon Europe Cluster 2, Digital Europe und NCP-IP), können auch auf der Horizon Europe Community Plattform nachgesehen werden.  

Besuch des Deep Space 8K im Ars Electronica Center

Es folgten Vorträge von Saskia Scheltjens, Leiterin der Abteilung für Forschungsdienste und Chefbibliothekarin der Forschungsbibliothek des Rijksmuseums in Amsterdam, Maximilian Schich, Professor für Kulturdatenanalyse an der Tallinn University sowie Ross Parry, Professor für Museumstechnologie an der School of Museum Studies der University of Leicester und Gründungsdirektor des Institute for Digital Culture. Die Keynotes wurde durch  prägnante Lightning Talks ergänzt, in denen aktuelle Projekte im Vordergrund standen. Zu den Vortragenden zählten Christian Panigl (ACOnet, Universtität Wien), Raman Ganguly (PHAIDRA, Universität Wien), Stefan Eichert (bITEM – Beyond the Item, NHM Wien), Andreas Scheucher und Ilja Slamar (Salzzeit.at), Jonas Glaser (TU Graz) sowie Markus Wiesenhofer (Art Leap on Roblox, Belvedere Museum Wien).

Die zweitägige Veranstaltung wurde schließlich von einer hochkarätigen Podiumsdiskussion abgerundet. Ein Highlight des ersten Forum-Tages war der Besuch des Deep Space 8K im Ars Electronica Center, in dem ein eigens für die Teilnehmenden zusammengestelltes Programm Kostproben für die multidimensionale Darstellung und Bearbeitung von Kulturerbe-Daten gab – darunter ein Ausschnitt der interaktiven Anwendung „Playing Anton“ und eine dreidimensionale Führung durch die Pyramiden von Gizeh. 

Kulturerbe selbstbewusst sichtbar machen

In ihren Begrüßungsworten hob Doris Wolfslehner (BMWKMS) die Bedeutung des Kulturpool für die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit des österreichischen Kulturerbes hervor. Dabei betonte sie die Potenziale institutionen- und regionenübergreifender Zusammenarbeit, wofür sich der Kulturpool in seiner Funktion als Kompetenzzentrum künftig verstärkt einsetzen möchte. „Wir freuen uns besonders, dass wir mit dem Stakeholder Forum 2025 nach Linz kommen und die Frage, wie aus Daten Innovation entsteht, außerhalb Wiens diskutieren“, so Wolfslehner, die sich beim oberösterreichischen Gastgeber bedankte. „Das Ars Electronica Center ist der Ort, an dem man über Digitalisierung reden muss und soll.“ 

Dass es für innovative Nutzung von Kulturerbe-Daten Infrastruktur benötigt, betonte Katrin Vohland (NHM Wien) in ihrer Begrüßung. „Kultur und kritische Selbstreflexion gehören zu unseren Stärken in Europa“, so Vohland, die für ein gestärktes Selbstbewusstsein des Kulturbereichs eintrat. Ihre bisherigen Erfahrungen mit ambitionierten Vorhaben wie der Neuaufstellung des Kulturpool am Naturhistorischen Museum Wien hätten eines gezeigt: Um Infrastrukturen nachhaltig zu gestalten, brauche es neben finanziellen Ressourcen vor allem auch Vertrauen und verantwortliches Handeln. 

„Daten sind nicht neutral.“

Museen müssen raus aus ihren Silos und stärker kooperieren – diesen Appell richtete Saskia Scheltjens an die Teilnehmenden des Stakeholder Forum 2025. In ihrem Eröffnungsvortrag teilte sie ihre Erfahrungen als Leiterin der Abteilung für Forschungsdienste des Rijksmuseums in Amsterdam. Dieses habe, so Scheltjens, den Mut gehabt, eine umfassende Neuorganisation zu wagen, gestützt auf ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Wert von Daten. Die digitale Transformation des Museums begann zwar bereits in den 1980er Jahren, doch erst die notwendige Schließung zwischen 2003 und 2013 aufgrund von Renovierungsarbeiten sowie der Druck von Seiten der Öffentlichkeit und Presse beschleunigten den Prozess. Großangelegte Digitalisierungsprojekte folgten.

Digitalisierung ist Teil einer größeren Entwicklung, die eine Organisation als Ganzes betrifft.

Saskia Scheltjens

2011 öffnete das Rijksmuseum einen Großteil der Online-Sammlung unter einer offenen Lizenz und gilt damit als Vorreiterin im Bereich Open Data, berichtete Scheltjens. Die Datenstrategie verfolgte das Ziel, Sammlung und Öffentlichkeit nahtlos zu verbinden, wobei Transparenz im Datenprozess zunehmend wichtiger wurde. Mit dem Aufkommen sozialer Medien und der COVID-Pandemie liegt der Fokus aktuell verstärkt auf der Frage, welchen Nutzen digitale Sammlungen für Forschung und Öffentlichkeit bringen. Scheltjens ist überzeugt: Die Menge und Vielfalt an Daten nehmen zu; damit müssen Museen gleichzeitig auch eine differenziertere Haltung zum Thema Open Data einnehmen.

Dahinter steht die Idee, von einer Open/Closed-Dichotomie zu einem fairen Umgang mit Daten zu gelangen. Eine derartige „Post Digital Strategy“ müsse den Anspruch haben, möglichst offen mit Daten zu verfahren, dabei allerdings auf notwendige Beschränkungen, etwa bei sensiblen und problematischen Inhalten, Rücksicht zu nehmen. „Museen sind nicht neutral, genauso wenig wie Technologien, Digitalisierung oder Daten“, betonte Scheltjens. Es benötigt einen kritischen Blick darauf, wie die digitalisierten Objekte dargestellt werden, welche Begriffe verwendet werden und welche Kontextualisierung notwendig ist, um Daten in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und ihre Nachnutzung zu fördern.  

Museen in der post-digitalen Welt

Tag zwei des Forums startete mit dem Schwerpunktthema Infrastruktur. Ross Parry (University of Leicester) teilte seine Erfahrungen in der Schaffung digitaler Infrastrukturen für Museen, die auf einerholistischen Sichtweise“ basieren. Digital und analog könnten längst nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden, weshalb sowohl die Inhalte als auch die Infrastrukturen und Nutzungserfahrungen hybrid gedacht und adressiert werden müssten. Parry ist davon überzeugt, dass Museen die Aufgaben haben, Kulturerbe für möglichst viele Menschen zugänglich und erlebbar zu machen. Diversität im digitalen Zeitalter bedeute, die verschiedenen Sinne und subjektiven Zugänge der Besucherinnen und Besucher zu verstehen und – mit digitalen Mitteln – für das Museumserlebnis zu berücksichtigen.

 

Im postdigitalen Zeitalter gibt die Vision die Richtung vor, Leadership bringt Wandel, Prozesse ermöglichen Veränderung – und Menschen treiben Innovation.  

Ross Parry

Innovationen sichtbar machen

Welche Entwicklungen Infrastrukturen in den letzten Jahrzehnten durchgemacht haben, zeigten zwei Lightning Talks der Universität Wien zu “ACOnet (Christian Panigl) und Phaidra” (Raman Ganguly). Der Schwerpunkt Re-use (Nachnutzung) wurde von einem Vortrag von Maximilian Schich (University of Tallinn) eingeleitet. Schich legte unter dem Titel Wer hat Angst vor Kulturdatenanalyse? ein Plädoyer für interdisziplinäres Forschen und Arbeiten vor. Wir brauchen eine Analyse über alle Wissenschaftsdisziplinen hinweg, so Schich, der auch Einblicke in unterschiedliche Beispiele und Potenziale von datenbasierter Analyse bot. Netzwerke, Bedeutungsräume und Muster seien erst zu erkennen, wenn Daten harmonisiert und zugänglich gemacht werden. Sie bestimmen, was in die Datenbank kommt, richtet Schich seinen Appell an die Anwesenden, aber daraus ergibt sich dann etwas, das wir messen müssen.

In seinem Lightning Talk präsentierte Stefan Eichert (NHM Wien) die Open-Source-Entwicklung „Beyond the item“ (bitem.at), die Objekte, Personen und Orte für innovatives Storytelling vernetzt und attraktiv darstellt. Wie bei jungen Menschen das Interesse für Kulturerbe geweckt werden kann, zeigte Markus Wiesenhofer (Belvedere Wien), der das neue Roblox-Spiel Art Leap vorstellte. Andreas Scheucher (Scenomedia Gesmbh) und Ilja Slamar (Iljafilm) stellten in ihrem Talk das virtuelle Museum für das Salzkammergut (salzzeit.at) vor. Jonas Glaser (TU Graz) gab Einblicke in seine Bachelorarbeit, im Zuge dessen er Gamification-Elemente mit Kulturpool-Daten verknüpfte. 

Mehr als Daten, aber wie?

Bei der Podiumsdiskussion „More than Data. New Approaches to Reuse, Infrastructure and Innovation“  beleuchteten die Vortragenden Scheltjens, Parry, Panigl und Schich gemeinsam mit der Informatik-Professorin Johanna Pirker (Technische Universität Graz) die Frage, wie Innovationen im Kulturerbe-Sektor vorangetrieben werden können und was es braucht, um kreative Projekte mit Kulturdaten gezielt zu fördern.  

Die Teilnehmenden waren sich darüber einig, dass Museen über die reine Datensammlung hinausdenken müssen: Es geht darum, Nutzerinnen und Nutzern echte Handlungsmöglichkeiten zu geben und Innovation durch Austausch zu fördern. Technische Infrastruktur wie Internet und Rechenkapazitäten sind wichtig, aber auch physische Räume für Begegnungen und Gespräche.  

Nachhaltige Gemeinschaften aus den Bereichen IT, Vermittlung, aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie der Kunst sind entscheidend, ebenso wie langfristige Finanzierungsmodelle. Angeregt durch die Aufforderung von Moderatorin Doris Wolfslehner (BMWKMS), gab die Runde zum Abschluss Empfehlungen an die Kulturerbe-Einrichtungen: Zentral sei es, Mitarbeitende beim Erlernen von Technologien und im Umgang mit sensiblen Inhalten zu fördern, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu forcieren, und nicht zuletzt bei der Digitalisierung darauf zu achten, dass Daten möglichst einfach zugänglich und zitierfähig gemacht werden. All dies würde schließlich dazu führen, dass innovative Nutzungsmöglichkeiten (also „mehr als Daten“) entstehen können. Oder frei nach Ross Parry, der in seinem Vortrag den Weg zur Innovation folgend auf den Punkt brachte: Im postdigitalen Zeitalter gibt die Vision die Richtung vor, Leadership bringt Wandel, Prozesse ermöglichen Veränderung – und Menschen treiben Innovation. 

Fazit

Das Stakeholder Forum 2025 zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig sich die Perspektiven des diesjährigen Schwerpunktthemas darstellen. Blicke über den nationalen sowie europäischen Tellerrand hinaus machten zudem deutlich, dass Fragen des Sichtbarmachens und nicht zuletzt die digitale Sicherung von Kulturerbe für eine Gesellschaft hohe Aktualität und Relevanz aufweisen.