Der visuelle Nachlass von Walter Dostal

Ein faszinierender Einblick in die Alltagskulturen des Jemen

Das Institut für Sozialanthropologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) digitalisiert im Rahmen des Projekts „Kulturerbe Digital“ einen Teil des visuellen Nachlasses des Ethnologen Walter Dostal (1928–2011). Walter Dostal hinterließ eine außergewöhnliche Sammlung von Fotos, Dias, Zeichnungen und Filmmaterialien, die faszinierende Einblicke in die Alltagskulturen des Jemen von den 1960er bis 1990er Jahren ermöglicht.

Walter Dostal: Ein Leben für die Anthropologie

Walter Dostal war ein einflussreicher Vertreter der deutschsprachigen Kultur- und Sozialanthropologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war über längere Zeit auf der arabischen Halbinsel, wo er das Alltagsleben, soziale Beziehungen und Traditionen der dort lebenden Bevölkerung untersuchte und mit der Kamera dokumentierte.

Nach den dunklen Jahren des Nationalsozialismus setzte er sich nachdrücklich für eine grundlegende Erneuerung und Internationalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie ein.

An der Universität Bern war er Dekan und der erste Lehrstuhlinhaber des neu gegründeten Seminars für Ethnologie. In Wien arbeitete er als Kurator der Nahost-Abteilung für das Museum für Völkerkunde (heute: Weltmuseum Wien). Später lehrte er als Professor für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

Als wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften legte Walter Dostal das Fundament für das heutige Institut für Sozialanthropologie. Er konzentrierte sich in seinen Forschungen vor allem auf die Ethnografie und Sozialanthropologie des Nahen Ostens, besonders im Jemen, Oman, dem südwestlichen Saudi-Arabien, den Golfstaaten und Anatolien. Seine fotografische Sammlung vermachte Walter Dostal der ÖAW als Schenkung in seinem Testament.

Ein visuelles Erbe von unschätzbarem Wert

Die Dokumentation jemenitischer Alltagskulturen von Walter Dostal ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Im Gegensatz zu vielen früheren Forschungsreisenden im Jemen, die während der imperialen und kolonialen Ära große Mengen materieller Artefakte und Manuskripte außer Landes brachten, belässt Walter Dostals sensible und respektvolle visuelle Dokumentation ihre Objekte in ihrem ursprünglichen Kontext.

Auch der Fokus auf das Alltagsleben von Handwerker*innen, Bäuer*innen, Händler*innen macht seine Sammlung einzigartig, da sie – statt Eliten – das Alltagsleben der Bevölkerung zeigt.

Die Sammlung ermöglicht einen faszinierenden Einblick in die materielle Kultur, Architektur, Arbeit und Handwerk, Rituale, Lebensstile und populäre Ausdrucksformen im Jemen. Das Land befand sich zu dieser Zeit inmitten sozialer, politischer und wirtschaftlicher Umbrüche. Diese Umbrüche wurden von der Revolution im Nordjemen (1962) und der Unabhängigkeit von britischer Herrschaft im Südjemen (1968) ausgelöst.

Einer der faszinierendsten Aspekte dieser Sammlung ist, dass sie die zentrale und starke Stellung der Frauen in der jemenitischen Gesellschaft sichtbar macht. Viele Bilder dokumentieren Tätigkeiten von Frauen in Handwerk und Produktionsprozessen, insbesondere in den Bereichen Töpferei, Korbflechterei und Textilherstellung. Die Fotosammlung unterstreicht damit die Bedeutung des technischen Wissens und der handwerklichen Fertigkeiten des weiblichen Teils der Bevölkerung.

Architektur als Spiegel der Gesellschaft

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Bilder sind vorindustrielle Architektur, Bautechniken und Siedlungsformen im Jemen und angrenzenden Gebieten. Walter Dostal interessierte sich dafür, wie die physischen Eigenschaften und die ästhetische Gestaltung von Häusern und Siedlungen die soziale Ordnung, gesellschaftliche Hierarchien und den Einfluss von ökologischen Faktoren widerspiegeln.

Ein bleibendes Vermächtnis

Walter Dostal hat mit seinen Forschungen und Publikationen einen bedeutenden Beitrag zur Kultur- und Sozialanthropologie der Arabischen Halbinsel geleistet. Die fortlaufende Digitalisierung und Erschließung dieser wertvollen Sammlung tragen dazu bei, dieses einzigartige kulturelle Erbe zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die im Kulturpool vorgestellte Fotoauswahl ist ein Teilbestand von Professor Walter Dostals umfangreichem Nachlass. Die Fotoauswahl ist über den ARCHE-Link unten (Langzeitarchivierungsrepositorium der ÖAW) herunterladbar. Im Forschungsprogramm „Geschichte der Ethnographien Asiens“ des Instituts für Sozialanthropologie wird der Bestand weiterbearbeitet, ergänzt und zukünftig auch im Katalog der ÖAW mit erweiterten Suchfunktionen veröffentlicht.

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