45 Handschriften des Wiener Dominikanerkonvents
Die österreichischen Klosterbibliotheken bergen ein reiches kulturelles Erbe an Büchern, das sie jahrhundertelang gehütet und erhalten haben. Sie eröffnen als gewachsene Bestände für alle Arten von kulturwissenschaftlichen Studien – zur Bibliotheksgeschichte, Buchmalerei, Musik-, Liturgie-, Geistes- und Sozialgeschichte, im Grunde genommen für alle Felder der historischen Forschung – vielfältige Erkenntnisperspektiven. Die Sammlung des Wiener Dominikanerklosters im Kulturpool beinhaltet Digitalisate und Metadaten von 45 ausgewählten Handschriften.
800 Jahre Dominikanerkloster
Die 1225 von Herzog Leopold VI. von Babenberg gegründete Niederlassung der Wiener Dominikaner entwickelte sich bald zu einem bedeutenden geistigen Zentrum. Mit der Gründung einher ging die Errichtung eines „Hausstudiums“, das sich später durch engste Beziehungen zur Wiener Universität auszeichnete.
So rekrutierte die theologische Fakultät der Universität Wien ihre Lektoren und Professoren fast immer im benachbarten Predigerkloster. Dieser rege und vielfältige geistige Austausch lässt sich bis heute an der kontinuierlich gewachsenen Bibliothek ablesen.
Alter und Herkunft der digitalisierten Handschriften
Die meisten der digitalisierten Handschriften gehören dem 15. Jahrhundert an. Viele von ihnen wurden in Wien hergestellt. Einige Bände gelangten jedoch durch Kauf, Erbschaft oder über einen neu eingetretenen Mitbruder, der dem Konvent seine Bücher schenkte, aus etwas ferneren Regionen, etwa aus der Umgebung von Mainz (Cod. 227/191 und Cod. 228/192), aus Köln (Cod. 212/178) oder aus Ingolstadt (Cod. 29/29), nach Wien.
Sieben Handschriften aus der vorliegenden Sammlung waren Teil der „Handbibliothek“ des aus Tirol stammenden Theologieprofessors Leonhard Huntpichler. Er hat die entsprechenden Werke auf dem Einband mit seinen Initialen und/oder einem Symbol gekennzeichnet (z. B. Cod. 70/291). Sie gelangten erst später in die eigentliche Konventsbibliothek. Diese beherbergt auch etliche eigene Schriften dieses damals sehr einflussreichen Dominikaners.
Was ist eine Handbibliothek?
Von besonderem geistesgeschichtlichem Interesse sind die eigenhändigen Anmerkungen, mit denen Leonhard Huntpichler viele der Bücher versah. Als weitere Vorbesitzer werden in den Handschriften der vorgestellten Sammlung z. B. der Lektor Jacobus Dienstel und der Frater Jacobus Schwartz (Cod. 12/12), der aus Kitzbühel stammende Frater Johannes Fleckel (Cod 48/270, Cod. 71/291, 197/162) oder der Magister Studentium Matheus Seydl de Uttendorf und dessen Onkel, der Jurist Mag. Thomas de Uttendorf (Cod. 227/191 und Cod. 228/192) fassbar. Mit Johannes Werd, Regens studii und zeitweiliger Dekan der theologischen Fakultät der Wiener Universität, trifft man wiederum auf einen prominenten Schreiber vom Ende des 15. Jahrhunderts (Cod. 86/51 und Cod. 87/52).
Schlüssel zur Bibliothek: Der mittelalterliche Bibliothekskatalog des Martin Purkawser
Die Wiener Dominikaner sind in der glücklichen Lage, über einen Bibliothekskatalog zu verfügen, der über Umfang und Zusammensetzung der spätmittelalterlichen Bibliothek Auskunft gibt. Geschrieben wurde dieser für die Geschichte der Bibliothek ungemein wertvolle Katalog, der nun ebenfalls als Digitalisat zur Verfügung steht (Cod. 232/260), im Jahr 1513 von Bruder Martin Purkawser.
Eine große Zahl der im „Purkawser-Katalog“ verzeichneten Bände hat sich bis heute erhalten. Einige von ihnen weisen auf dem vorderen oder dem hinteren Einbanddeckel ein Signaturschild auf (z. B. Cod. 216/182), das auf den entsprechenden Eintrag im Katalog verweist: In pulpeto P superiori … P14. Decreti tabula optima per modum alphabeti, incipit AAA triplicatum.
Neben Besitzeinträgen aus dem späten 15. Jahrhundert (Cod. 216/182) bezeugen auch die Blindstempel, mit denen die mittelalterlichen Einbände vieler Handschriften verziert sind, deren Herkunft aus dem Wiener Predigerkloster (Cod. 216/182). Tatsächlich unterhielt dieses in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine eigene Buchbinderwerkstatt.
Entdeckungen bei der Digitalisierung
Auch in der Neuzeit sind der Bibliothek noch verschiedene mittelalterliche Handschriften zugewachsen: Der einschlägigen Forschung bislang unbekannt geblieben ist eine Historienbibel der Gruppe IIIa, die erst im Zuge dieses Digitalisierungsprojekts im Kloster wiederentdeckt worden ist (Cod. 244/105). Sie dürfte erst in der Barockzeit in das Kloster gekommen sein.
Weitere volkssprachliche Codices sind 2013 aus dem Grazer Dominikanerkonvent nach Wien gelangt. Darunter befindet sich auch eine Regel- und Konstitutionenhandschrift (Cod. 6305), die über eine bewegte Historie verfügt. Sie diente im 15. Jahrhundert der Reformierung zweier verschiedener Frauenkonvente (Nürnberg, Dominikanerinnenkloster St. Katharina, Regensburg, Dominikanerinnenkloster Heilig Kreuz).
Was ist eine Historienbibel?
Neue Forschungsmöglichkeiten
Es ist zu erwarten, dass durch die vorgenommene Digitalisierung und Bereitstellung von Grunddaten weitere Untersuchungen zu dem Bestand angeregt werden. Somit leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Handschriftenforschung in Österreich.
Weiterführende Links
wien.dominikaner.org
manuscripta.at
oeaw.ac.at